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Die hohe Kunst des Streitens

Dialoge in der Kurzgeschichte: Wie macht man sie lesbar, was macht sie spannend und wo bekommen wir sie her?
Inhalt:
  1. Alles nur Blech? Reale und literarische Dialoge
  2. Zutat Nummer 1: Konflikt
  3. Zutat Nummer 2: Subtext
  4. Zutat Nummer 3: Transaktionsprobleme
  5. Zutat Nummer 4: Geheimnisse
  6. Zutat Nummer 5: Knappheit
  7. Ein paar Tricks
  8. Ein paar Don'ts
  9. Zusammenfassung
  10. Zitierte Literatur

1. Alles nur Blech? Reale und literarische Dialoge

Eine Kurzgeschichte, in der ein Mann morgens aufsteht, frühstückt, in die Arbeit geht, acht Stunden im Büro an einem Bericht arbeitet und abends müde wieder heimkehrt, um nach dem Abendessen die Tagesschau und einen Krimi zu sehen und schließlich ins Bett zu gehen – was wäre das? Furchtbar langweilig. Alltägliche Realität ist nicht das, was wir in einer Kurzgeschichte lesen wollen. Wir wollen die Höhepunkte lesen. Genauso ist es beim Dialog.

Das meiste, was wir im wirklichen Leben miteinander reden ist Blech:

A: Guten Morgen.
B: Guten Morgen.
A: Wie war es gestern?
B: Ach naja, das Wetter war nicht so toll.
A: Und das Essen?
B: Wiener Schnitzel mit Salat.

Brrr, hören wir auf damit. Das ist nicht die Art von Dialog, die wir lesen oder schreiben wollen, oder? Dialogsprache ist so schwer zu lernen wie eine Fremdsprache, sagt Sol Stein [1]. So weit würde ich nicht gehen, aber es ist nicht ganz einfach. Manche Dialoge, die wir führen, sind spannend. Solche seltenen Momente kann man als Vorlage nehmen. Aber meistens reden wir im Alltag nur Blech. Etwas häufiger sind gute Dialoge in der Literatur. Man kann aus solche guten Dialogen lernen, was man braucht.

Zutat Nummer 1: Konflikt

Am allerlangweiligsten sind Dialoge, bei denen sich zwei Charaktere gegenseitig Bälle zuwerfen:

A: Was hast du gestern gemacht?
B: Ich war in der Stadt und habe mir eine Hose gekauft.
A: Was denn für eine?
B: Eine Jeans für 50 Euro.
A: Und wo hast du die gekriegt? Ich bräuchte auch eine.

So ein Dialog ist vielleicht interessant für die Beteiligten (vor allem für A, der wissen möchte, wo er die billige Jeans kriegt), aber nicht für uns Leser. Vor allem, weil hier die Personen keinen Konflikt austragen. Ein Dialog ist eine Form der Konfliktaustragung. Man könnte auch sagen: Es ist die hohe Schule des Streitens. Ein Meister dieser Kunst war Raymond Carver.

"Also, was meinst du? Gibt es eine Chance für uns, oder nicht?" Er senkte den Blick und zog die Serviette auf seinen Knien zurecht.
"Vielleicht", sagte sie. "Es gibt immer eine Chance."
"Komm mir nicht mit solchem Scheiß", sagte er. "Antworte mir zur Abwechslung mal ehrlich."
"Fahr mich nicht so an", sagte sie.
"Ich hab dich was gefragt", sagte er. "Gib mir eine ehrliche Antwort", sagte er.
Sie sagte: "Willst du etwas mit Blut Unterschriebenes?"
Er sagte: "Wär gar keine schlechte Idee."[2]

Zutat Nummer 2: Subtext

Sol Stein zeigt, wie man einen banalen Begrüßungsdialog spannungsreicher macht, indem man ihn indirekt hält. Nehmen wir mal den "allerlangweiligsten Dialog" von vorhin:

A: Was hast du gestern gemacht?
B: Ich war in der Stadt und habe mir eine Hose gekauft.

Lassen wir B mal nicht direkt auf die Frage antworten, zum Beispiel so:

A: Was hast du gestern gemacht?
B: Wieso? War ich dir wieder nicht fleißig genug?

Da ist ein Konflikt am brodeln und Spannung entsteht. Wir fühlen, dass B. etwas gereizt ist, das heißt, wir haben etwas zur Charakterisierung getan. Emotionen sind im Spiel. Schon viel besser, und das mit so wenig Aufwand! Wie kam das? B. antwortet auf den (vermuteten oder realen) Subtext der Frage von A. Er vermutet, dass A. etwas anderes mit seiner Frage gemeint hat, als er gesagt hat – Subtext eben. Hier ist der Subtext durch eine Gegenfrage sichtbar geworden. Es gibt auch andere Mittel, das zu tun:

"Ihr gelbes Kleid passt ja hervorragend zu Ihrem Haar", sagte Thomas.
Sibylle strich sich mit der Hand durch die lange, blonde Mähne.
"Würden Sie mir eine Freude machen? Ich kenne da ein gemütliches, italienisches Restaurant in der Innenstadt...", schlug Thomas vor.

Was der Mann in Wirklichkeit meint, wird aus der Situation deutlich. Wenn ein Mann einer gut aussehenden Frau Komplimente macht, sie zum Essen einlädt oder ins Kino – dann kann man vermuten, dass etwas anderes dahinter steckt als gastronomische oder kineastische Interessen.

Noch ein Beispiel von Carver, aus derselben Geschichte wie zuvor. Das Pärchen hat im Restaurant Champagner bestellt. Der Frau fällt ein, dass sie eine bestimmte Marke hätte bestellen sollen.

"Warum hast du nichts gesagt, wenn du das wolltest?" sagte Wayne.
"Ich weiß nicht", sagte Caroline. "Ich hab einfach nicht daran gedacht. Aber dieser ist doch gut."
"Ich versteh nicht allzuviel von Champagner. Ich geb offen zu, ich bin kein besonderer ... Connoisseur. Ich geb offen zu, ich bin ein Banause." Er lachte, und versuchte, ihren Blick auf sich zu ziehen, aber sie war damit beschäftigt, eine Olive von der Platte mit den Appetithäppchen auszuwählen. "Nicht wie die Leute, mit denen du neuerdings verkehrst." [3]

Wenn der Mann sagt, er wäre ein Banause und danach ihren Blick sucht, dann deswegen, weil er sich ein Kompliment erhofft, etwas wie: "Ach komm Wayne, red keinen Quatsch." Dass sie ihm das verweigert und seinem Blick ausweicht, schürt den Konflikt weiter. Die Tonlage ist hier noch der Plauderton mit kleinen Seitenhieben ("die Leute, mit denen du neuerdings verkehrst.") Die weiter oben wiedergegebene Szene ist dann der Ausbruch.

Zutat Nummer 3: Transaktionsprobleme

Wenn man als Autor seine Charaktere kennt, dann weiß man auch, worin der Konflikt ziwschen ihnen besteht. Der eine ist geizig, der andere will sich selbst verwirklichen. Oder der eine will seine Ruhe, der andere etwas erleben. Aber es ist noch nicht klar, wie sich der Konflikt im Dialog darstellen kann. Bickham [4] verdanke ich einen Hinweis auf eine Möglichkeit dazu: die Transaktionsanalyse. Nach dieser psychologischen Theorie setzt sich der Mensch zusammen aus einem Eltern-Ich, einem Erwachsenen-Ich und einem Kind-Ich. Konflikte entstehen, wenn sich zum Beispiel eine Person gerade in ihrem Eltern-Ich befindet, und die andere in ihrem Kind-Ich. So kann man schöne Dialoge schreiben, indem man seine Charaktere in eben diese Lage bringt.

"Meine Gefühle sind dir doch völlig egal!", schrie Marianne und stampfte mit dem Fuß auf. "Du bist ekelhaft!"
"Aber Marianne, so beruhige dich doch...", sagte Thomas. Es strich über seinen Bart und sprach weiter: "Komm, wir gehen schön essen und besprechen das ganze nochmal in Ruhe."
"Jetzt komm mir bloß nicht mit diesem Gesülze!", schrie sie. "Als könnte man alles und jedes mit einem schönen Essen wieder gut machen!"

Hier ist Marianne in ihrem Kind-Ich: Sie ist trotzig und wütend, sie schreit und zetert. Thomas dagegen schlüpft in sein Eltern-Ich: Er redet beruhigend auf Marianne ein, aber gerade das macht sie noch wütender.

Zutat Nummer 4: Geheimnisse

Im letzten Beispiel war die Bedeutung des Dialogs ziemlich offensichtlich. Interessanter wird es, wenn ein Charakter etwas geheim hält. Wenn er seinem Gesprächspartner etwas nicht sagen will – zum Beispiel, weil er schlecht über ihn denkt.

Zutat Nummer 5: Knappheit

Dialog besteht nicht aus den Monologen von zwei Personen. Wenn ein Charakter sich äußert, sollte er das so knapp wie möglich tun.

"Stefan, ich kann dir in diesem Punkt nicht zustimmen", sagte Thomas.

Das ist ziemlich weitschweifig und explizit. Besser finde ich:

"Stefan, Stefan, Stefan", sagte er kopfschüttelnd.

Es ist schwer zu sagen, wie lang jemand sprechen kann, bevor es langweilig wird. Sechs Sätze sind wohl fast immer zuviel, drei sind okay. Einer ist besser. Noch besser ist oft ein unvollständiger Satz oder nur ein oder zwei Wörter. Aber natürlich kann man aus der Zahl der Sätze pro Dialogteil kein Dogma machen. Wenn Thomas ein geborener Schwätzer ist, dann sollte man bei der ausführlichen Version bleiben. Sein Gegenüber Stefan könnte dann ganz kurz angebunden antworten.

Ein paar Tricks

Dialoge bestehen nicht immer aus braver Frage und höflicher Antwort. Hier ein paar Gewürze, die Dialog abwechslungsreicher und lebendiger machen können:

Gegenfragen

A: Was hast du gegessen?
B: Wieso fragst du?
Auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, ist unhöflich, aber wer sagt, dass alle Personen in einer Geschichte höflich sein müssen? Besser eine ist höflich, die andere nicht, oder?

Unterbrechen

A: Was sollen wir nur...
B: Ach komm, jammer nicht rum, wir schaffen das schon.
Seinen Gesprächspartner zu unterbrechen ist ebenso unhöflich, aber es kann der Verschärfung des Konflikts (wenn einer dem anderen das Wort abschneidet) und der Verknappung dienen.

Schweigen

"Was hast du gegessen?", fragte Thomas.
Stefan schwieg. Auch eine Antwort, dachte Thomas.

Nachäffen

"Was hast du gegessen?", fragte Thomas.
"Was hast du gegessen?", machte Stefan ihn mit hoher Stimme nach und ließ dabei seinen Kopf hin und hertanzen.

Wiederholen

Wiederholungen oder Echos machen einen Dialog ebenfalls lebendiger. Echos passieren zum Beispiel, wenn der Antwortende erst überlegen muss:
A: Was hast du gegessen?
B: Was ich gegessen habe? Ich glaube, es war ... es war ein Wiener Schnitzel.

Fehler in der Satzkonstruktion

"Würdest du bitte endlich still sein, bitte": Dieser Dialogfetzen aus der gleichnamigen Geschichte von R. Carver zeigt, dass auch Syntaxfehler einen Dialog würzen können. Die Wiederholung des Wortes "Bitte" macht die Verzweiflung des Sprechenden deutlich, die mühsam unterdrückte Emotion. Man hat das Gefühl, der Sprechende wollte seinem Dialogpartner am liebsten mit der Hand den Mund zuhalten, er bremst sich aber. Sol Stein gibt ein weiteres Beispiel: "Wem sein Laden ist das hier eigentlich?"

Ein paar Don'ts

Informationen für den Leser

Ganz übel sind Dialoge, bei denen sich die zwei Sprechenden etwas sagen, was beide wissen, aber der Leser noch nicht [5].

"Ach Guten Tag Herr Dr. Mayer", sagte Thomas und schüttelte dem Spätankömmling die Hand. "Sie kommen gerade noch rechtzeitig. Die Trauerfeier zu Ehren meiner Mutter soll gleich anfangen."

Wahrscheinlich ist Dr. Mayer zu dieser Trauerfeier eingeladen. Deswegen muss man ihm nicht sagen, wer gestorben ist... Für den Autor ist es so bequemer, aber der Leser kommt sich veräppelt vor.

Imperfekt

Imperfekt im Dialog klingt (für mich zumindest) immer wahnsinnig steif. Wenn die Geschichte in der Gegenwart spielt, ist Perfekt besser:
Statt: "Was fühltest du, als du seine Hand berührtest?"
Besser: "Was hast du gefühlt, als du seine Hand berührt hast?"

Dialekt oder ausländische Färbung

Ich habe lange mit Polen zusammengelebt und irgendwann mal eine Geschichte geschrieben, in der eine polnische Putzfrau vorkam. Ich glaube heute noch, dass ich den Sound gut wiedergegeben habe. Die Reaktion der Leser war aber: Das klingt nicht echt, du hast wohl noch nie mit einem Polen gesprochen. Das war mir eine Lehre. Ich glaube, dasselbe gilt auch für Dialekt – das meint auch Sol Stein [6].

Zu wenig Unterbrechungen

Viele Schreibbücher empfehlen, die inquit-Formeln (also "sagte er", "antwortete sie", "fragte Thomas" etc.) wegzulassen, wenn klar ist, wer spricht. Hemingway macht das in Die Killer so:

"Wer ist draußen in der Küche?"
"Der Nigger."
"Was soll das heißen, der Nigger?"
"Der Nigger, der kocht."
"Sag ihm, er soll reinkommen."
"Was soll denn das?"
"Sag ihm, er soll reinkommen."
"Wo glaubst du denn, dass du bist?"[7]

Toller Dialog, keine Frage, und beim Still-Lesen funktioniert das sehr gut. Man fliegt nur so über die Sätze. Aber beim Vorlesen tu ich mich damit hart. Mir fällt es schwer, einen Dialog vorzulesen, bei dem die inquit-Formeln fehlen. Ab und zu mal ein "sagte er" einbauen und vielleicht eine Geste oder sowas – das wär besser fürs Vorlesen.

Zusammenfassung

Fassen wir zusammen: Ein guter Dialog charakterisiert die Figuren, treibt den Konflikt zwischen ihnen voran, erzeugt Spannung. Er ist knapp, indirekt, konfliktgeladen und voll von Subtext.

Aber das wichtigste ist wohl eine gewisse Begabung fürs Streiten. Die haben nicht nur Leute, die ihren Lebenspartner wöchentlich einmal mit Geschirr bewerfen. Gerade die Harmoniesüchtigen, Konfliktscheuen unter uns wissen, wie man streitet. So oder so: Ein Streit zieht im realen Leben oft Reue nach sich. In der Literatur kann man Konflikte nach Herzenslust ausleben – indem man Dialoge schreibt. Viel Spaß dabei.

Stefan Leichsenring

Zitierte Literatur

[1] Sol Stein, Über das Schreiben, Verlag Zweitausendeins, 6. Auflagen, 2000, Seite 165

[2] Raymond Carver, Zeichen (aus: "Würdest du bitte endlich still sein, bitte", Berlin Verlag,2. Auflage, 2000, deutsch von H. Frielinghaus, S.294f.)

[3] ibid., S.292

[4]Jack M. Bickham, Short Story. Die amerikanische Kunst, Geschichten zu erzählen, Verlag Zweitausendeins, 2002, S. 78 ff

[5] Otto Kruse, Kunst und Technik des Erzählens, Verlag Zweitausendeins, S. 218

[6] Sol Stein, Über das Schreiben, Verlag Zweitausendeins, 6. Auflagen, 2000, Seite 175

[7] Ernest Hemingway: Die Killer (aus: "Männer ohne Frauen", 1927) Zitiert nach E.H., Die Stories, Rowohlt, Hamburg, 1992, S. 239)

Letzte Änderung: Juni 2005

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