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"Was wollten Sie damit sagen?"

Die Frage kennt jeder Autor: Was wollten Sie mit Ihrer Geschichte sagen? Es gibt keine schlimmere Frage. Aber nicht nur bei Lesungen, auch beim Schreiben gehört diese Frage einfach dazu
Botschaft

Botschaften an Leser übermitteln – ist das der Sinn des Schreibens?

Inhalt:
  1. Arten des Nicht-Verstehens
  2. Geschichtenarten und Leser
  3. Krimis mit Botschaft
  4. Die Deutlichkeit der Botschaft
  5. Die Moral am Schluss?
  6. Die Botschaft im Creative Writing
  7. Botschaft und Konflikt
  8. Was wollen Sie damit sagen?

Vor ein paar Monaten habe ich in einer Literaturgruppe eine Kurzgeschichte vorgelesen. Manchmal bekomme ich schon beim Lesen rote Ohren, weil ich merke: Hier und da stimmt etwas nicht. Aber an diesem Abend schien alles in Ordnung zu sein. Ich las die Geschichte vor, las den letzten Satz, dann die quälenden Momente, bis der erste Hörer etwas zu der Geschichte sagt. "Schön beschrieben, auch irgendwie spannend, aber mir fehlt irgendwie etwas. Ich verstehe das ganze nicht so richtig."

Nicht verstandene Geschichten

Eine Situation, wie sie wahrscheinlich viele Hobbyautoren schon mal erlebt haben. Die Leser (oder in diesem Fall Hörer) verstehen die Geschichte nicht – eine ziemliche Pleite. Es kann aber auch genau umgekehrt sein: Die Story wirkt platt, es fehlt ein Geheimnis. Eine gute Geschichte, so scheint mir, muss vor allem balancieren zwischen "zu deutlich" und "unverständlich". Bei jeder neuen Geschichte treibt mich dieses Problem wieder um: Wie deutlich muss ich sein, wie viel kann ich unscharf lassen?

1.) Verschiedene Arten des Nicht-Verstehens

Fangen wir mit den unverständlichen Geschichten an. Was heißt dieses: "Ich verstehe die Geschichte nicht"? Ganz verschiedene Dinge, wahrscheinlich. Wenn in einer Geschichte jemand vorschlägt, jemanden zu tollschocken [1], wird nicht jeder verstehen, was das heißen soll. Beim einen Leser erzeugt es Assoziationen, beim anderen nicht. Und auch wer versteht, was gemeint ist, ärgert sich vielleicht über die Arroganz des fremdsprachenbesessenen Autors oder über einen unkorrekten Sprachgebrauch. Jedenfalls besteht hier eine Uneindeutigkeit auf Wortebene – die grundlegendste Ursache für Nichtverstehen.

Ein anderes Beispiel. In einer Geschichte kommt die Stelle vor:

Sie geht voraus. Ich könnte ihr nachgehen und sehen, wie sie ihre Jeans ablegt. Sie lässt sie fallen, steigt in die Badewanne.[2]

Nur verständliche Wörter, recht verständlich eigentlich, oder? Eine Frau geht vom Beobachter weg; der überlegt, ob er ihr nachgehen sollte. Aber: Ist die Frau nun wirklich ins Bad gegangen? Oder war das nur die Vorstellung des Betrachters? Hier liegt eine Uneindeutigkeit auf der Ebene der Handlung vor.

Ein weiterer Fall: In einer Geschichte erzählt ein Mann seiner Putzfrau von dem Unfall seiner Tochter. Die Putzfrau aber arbeitet weiter, ohne ein Wort zu sagen und geht nach einer Stunde. [2] Der Leser stellt sich die Frage: Warum fragt sie nicht nach? Interessiert sie der Unfall nicht? Ist es ihr Gefühl für die Privatsphäre des Kunden oder einfach Desinteresse? Hier liegt eine Uneindeutigkeit in Bezug auf die Intentionen einer Person vor.

Eine weitere Form der Uneindeutigkeit liegt vor, wenn die Botschaft der Geschichte nicht deutlich wird. Aber Moment mal: Braucht es die denn überhaupt? Gibt es nicht wunderbare Geschichten, die ohne eine Message auskommen? Spannende Krimis, erotische Geschichten, urkomische Geschichten. Oder Texte, die einen durch atmosphärische Details, durch ihre Bildwelt, durch die Musikalität ihrer Sprache, durch eine Pointe faszinieren. Auch ohne Botschaft haben solche Geschichten ihren Reiz. Aber schöner ist es noch, wenn eine Geschichte auf mehreren Ebenen gut ist, also zum Beispiel nicht nur spannend ist, sondern auch sprachlich gelungen ist. Und eine Ebene ist eben die Botschaftsebene. Deshalb hat für mich eine ideale Geschichte auch eine Botschaft. Sie ist nicht das Wichtigste an einer Story, aber oft ist sie das i-Tüpfelchen.

Ebenfalls schwierig ist die Uneindeutigkeit in Bezug auf das Aussehen von Personen, Schauplätzen oder Objekten. Eine schriftliche Beschreibung kann ja nie vollständig sein. Sie kann es nicht, schon weil es keine eindeutige literarische Abbildung von visuellen Reizen, Gerüchen, Geschmackseindrücken etc. gibt. Zum Beispiel stellt sich wohl jeder Leser den Protagonisten eines Romans etwas anders vor – kein Problem, aber auch eine Uneindeutigkeit. Je nachdem, wie ausgeprägt diese Unklarheit ist, ist sie ein Ärgernis oder ein Gewinn. Und es ist individuell verschieden: Der eine ist erbost, der andere liebt diesen Freiraum für die Phantasie.

Gerade am Problem der unvollständigen Beschreibung sieht man, dass jede Geschichte in gewissem Maße offen ist, offen gegenüber verschiedenen Interpretationen – wobei das Wort Interpretation auch Assoziationen und Bilder im Kopf des Lesers mit einschließt. Man kann das Dilemma also auch anders formulieren: Wie offen sollte eine Geschichte sein?

2.) Verschiedene Geschichtenarten und verschiedene Leser

Am Beispiel des Krimis und der Charakterstudie wird deutlich, dass die Ansprüche in Bezug auf Verstehen je nach Geschichtentyp ganz unterschiedlich sind. Während beim Krimi ein auf Wort- und Handlungsebene verständlicher Plot ausreicht, ist es bei einer Charakterstudie anders: Der Leser wohl nicht immer zufrieden, wenn eine Geschichte ausschließlich darin besteht, dass ein durschschnittlich wirkender Mann am Samstag Morgen durch den Nieselregen geht. "Ich versteh nicht, was das soll" wird wohl eine mögliche Reaktion darauf sein. Vielleicht kommt sie von einem, der am liebsten Krimis liest. Denn diese Art von Geschichte beginnt manchmal mit Männern in Trenchcoats, die durch den Regen gehen. Aber irgendwann passiert dann etwas Dramatisches, ein Mord etwa. Wenn der nicht kommt, dann ist der Krimileser enttäuscht. Man sieht, wie viel Verstehen oder Nicht-Verstehen mit den Erwartungen der verschiedenen Leser zu tun hat, und mit ihren Leseerfahrungen. Wenn man die Bestsellerlisten durchsieht, oder die Liste der Kinohits, wird einem klar, warum die meisten Leser Spannung oder Erotik oder Abenteuer oder Humor erwarten.

3.) Krimis und SF-Geschichten mit Botschaft

Viele Arten von Geschichten brauchen keine Botschaft. Die Leser erkennen das Muster "Kriminalgeschichte" oder "Science Fiction" und sind zufrieden, wenn der Mörder gefasst oder die Welt vor den Außerirdischen gerettet wird. Andererseits gibt es Geschichten dieser Typen, die sehr wohl eine Botschaft haben. Man denke an Star Trek IV, wo die Welt gerettet wird, indem die Enterprise-Besatzung die Buckelwale vor der Ausrottung bewahrt. Die Öko-Botschaft ist überdeutlich. Besser gelungen ist es bei Umberto Ecos Mittelalter-Krimi Der Name der Rose, den man auch als philosophischen Roman über Semiotik lesen kann. Durch die Zeichentheorie bekommt die Geschichte eine zusätzliche Ebene, was sie noch interessanter macht. Ein ähnliches Beispiel sind Stanislaw Lems Science-Fiction-Geschichten, zum Beispiel Solaris: Die sind spannend und philosophisch zugleich.

4.) Die Deutlichkeit der Botschaft

Am Anfang des Matthäusevangeliums [3] spricht Jesus zum ersten Mal zum Volk. Er erzählt das Gleichnis vom Sähmann. Die Jünger verstehen offensichtlich nicht, was er meint, und sie gehen zu Jesus und beschweren sich. "Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?" sagen sie. Sie wollen nicht zugeben, dass sie das Gleichnis nicht verstanden haben. Jesus erklärt seine Geschichte, und fortan tut er das bei jedem Gleichnis: Er erzählt eine Geschichte und erläutert anschließend, was sie bedeutet. Zum Beispiel beim Gleichnis vom verlorenen Schaf [4]: "Wenn irgendein Mensch 100 Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: Lässt er nicht die 99 auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte? Also ists auch bei eurem Vater im Himmel..." Jesus will ganz sicher gehen, dass die Message angekommen ist.

Ebenfalls mit belehrender Absicht, aber etwas subtiler machen es die klassischen Fabeln. Zum Beispiel Äsop bei der Fabel vom Fuchs und dem Raben [5]: Der Rabe sitzt in einer Baumkrone mit einem Stück Käse im Schnabel. Um an die Leckerei zu kommen, schmeichelt ihm der Fuchs und bittet ihn um eine Probe seines Gesangs. Der Rabe öffnet den Schnabel und der Käse fällt herunter. Letzter Satz: Den [d.h. den Käse] nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte über den törichten Raben. Hier wird die Botschaft durch das wertende Adjektiv "töricht" verdeutlicht.

Indirekter geht die Parabel vor. Bei der bekannten Ringparabel aus Lessings "Nathan der Weise" [6] ist man bei der Interpretation der Botschaft recht frei – es gibt mehrere mögliche Interpretationen [7]. In der neueren Literatur werden Botschaften normalerweise nicht mehr so deutlich ausbuchstabiert. Und wenn, dann erscheint das den meisten Lesern eher aufdringlich. Die politischen Lehrstücke von Brecht etwa, die ja eigentlich das Urteil dem Zuschauer überlassen sollten ("der Vorhang zu und alle Frage offen"), sind ziemlich deutlich in der Vermittlung marxistischer Ideen.

5.) Die Moral am Schluss?

Wo platziert man die Botschaft? Am besten am Schluss, wird so mancher sagen. Jesus machte es so: Zuerst das Gleichnis, dann die Deutung. Es ist der natürliche Ort für ein Resümee. Und es ist wohl die Stelle, die beim Leser am längsten nachhallt. Aber gerade weil hier traditionell die Moral von der Geschicht steht, wirkt die Botschaft hier auch am penetrantesten. Das ist der Grund, warum man manchmal gesagt bekommt: Lass die letzten Sätze weg, diese Erklärung braucht man nicht.

6.) Die Botschaft in der Theorie des Creative Writing

Die Creative-Writing-Lehrer aus den USA würden statt Botschaft lieber "Prämisse" sagen, das klingt weniger nach erhobenem Zeigefinger. Die Prämisse ist das, was man mit der Geschichte beweisen will [8]. Viele Geschichten folgen Prämissen der Art: "A führt zu B". Zum Beispiel folgt Shakespeares Othello der Prämisse "Eifersucht führt in die Katastrophe".

Auch wenn solche Prämissen extreme Verkürzungen sind, ist es wichtig, sich die thematische Grundlage seiner Geschichte klar zu machen, damit man nicht den Faden verliert. "Die Prämisse ist eine Art Kompass, der die Geschichte auf Kurs hält", sagt O. Kruse [9]. "Es ist nicht immer nötig sie zu kennen, wenn man beginnt, an einer Erzählung zu arbeiten, jedoch ist es hilfreich sie zu definieren, ehe man die Geschichte beendet."

7.) Botschaft und Konflikt

Nach der Theorie des Creative Writing braucht eine Kurzgeschichte einen Konflikt. Und der steht idealerweise in einer Beziehung zum Thema oder der Botschaft der Geschichte. Dabei hat der Konflikt zwischen zwei Menschen einen entscheidenden Vorteil für den Autor: Man kann sein Thema dialektisch angehen. Wie sieht so was in der Praxis des Schreibens aus?

Kürzlich erzählte mir ein Bekannter von einem Erlebnis. Er war bei einem Badeurlaub über die Brandung hinausgeschwommen und konnte aus eigener Kraft nicht mehr zurück an Land. Mein Bekannter sah sich mit der Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert. Seltsamerweise, so der Bekannte, dachte er jedoch nicht an die eigene Situation, sondern malte sich aus, was seine Freundin nach seinem Tod empfinden würde. Daraus könnte man eine Story machen, dachte ich. Da ich die Situation im Wasser nicht selbst erlebt hatte, wollte ich die Story nicht aus der Perspektive des Ertrinkenden schreiben. Aber vielleicht so: Ein gewisser Ferdinand sitzt im Flugzeug und denkt an die Geschichte, die ihm ein Bekannter erzählt hat. Die Stewardess verteilt Schokolade. Er steckt ein Stück in den Mund, und bei der Kombination von bitter und süß wird ihm plötzlich klar, warum der Bekannte an die Freundin denkt: Er versüßt sich den Gedanken an den Tod durch die Tränen der Freundin.

Mit der "Versüßungstheorie" hatte ich eine Botschaft oder eine Prämisse gefunden. Das wäre schon so etwas wie eine Geschichte, aber es fehlt noch der Konflikt. Ferdinand braucht eine Bezugsperson, der er seine Theorie erklären kann. Die muss widersprechen, vielleicht eine eigene Theorie aufstellen. Im Dialog werden die Charaktere plastisch, und die theoretischen Positionen deutlich. Und als Autor kann man so die Theorie weiter verfeinern.

Meine Erfahrung ist: Wer nur eine Theorie rüberbringen will, schreibt Tendenzliteratur. Je tiefer man über sein Thema nachdenkt, desto besser wird die Geschichte. Da ich persönlich mir schon immer einen Diskussionspartner vorgestellt habe, wenn ich über ein Thema nachgedacht habe, liegt mir diese Art des Reflektierens. Ich muss nur die Dialoge aufschreiben, die in meinem Kopf ablaufen. Ob dann einer der streitenden Personen in meinem Kopf gewinnt, ist zweitrangig.

8.) Was wollen Sie damit sagen? (oder: Die Sicht des Autors)

Was aber, wenn die Leser mit dem offenen Schluss nicht zufrieden sind? Nun, die Zufriedenheit hängt wohl auch davon ab, ob Autor und Publikum auf einer Wellenlänge sind. Wenn Handke eine Geschichte vor einem Publikum von Bildungsbürgern liest, die alles von Aischylos bis Zwerenz gelesen haben, sind Autor und Zuhörer zufrieden. Wenn er aber vor einem Publikum auftritt, dessen Erfahrungshorizont von Fernsehkrimis und der Bild-Zeitung geprägt ist, gibt es Verständnisschwierigkeiten. Es kommen dann Fragen wie: "Das habe ich nicht verstanden." oder "Was wollen Sie damit aussagen?" Als Autor könnte man die Absicht erläuern, die hinter der Geschichte steckte. Zum Beispiel: "Für mich handelt die Geschichte davon, dass man Neugier auch manchmal nachträglich bereut, wenn man nämlich etwas entdeckt, was man lieber nicht gewusst hätte." Der Nachteil, seine Geschichte den Lesern zu erklären, ist: Man nimmt ihnen die Freiheit. Und man kanalisiert die Diskussion. Man könnte auch sagen: Wer seine Geschichte erklärt, ersetzt sie – durch die Erklärung [10]. Ich habe mir für solche Fragen eine andere Antwort zurechtgelegt: Ich hoffe auf den mündigen Leser, auf den, der sich aus der Geschichte das herausnimmt, was ihn gerade interessiert, was er gerade brauchen kann. Das kann eine Figur sein, die er nicht mehr vergisst, eine Geste, eine Metapher oder ein Gedanke.

Stefan Leichsenring

Zitierte Literatur

[1] Antony Burgess, Clockwork Orange, 1962 (tollschocken = zusammenschlagen; tochok kommt angeblich aus dem Russischen und bedeutet dort stoßen, schubsen)

[2] Fingiertes Beispiel

[3] Matth. 13,10, online unter Projekt Gutenberg / Die Bibel

[4] Matth. 18,12-14

[5] Äsop, Der Fuchs und der Rabe. Online unter Projekt Gutenberg / Aesop

[6] Lessing, Nathan der Weise, 3. Aufzug, 7. Auftritt, online unter Projekt Gutenberg / Lessing

[7] Mehrere Interpretationen findet man (unter "Wirkung und Diskussion der Ringparabel") bei Wikipedia / Stichwort Ringparabel

[8] Laios Egri, Dramatisches Schreiben, Autorenhaus Verlag, 2003, S. 19 (engl. zuerst unter dem Titel The Art of Dramatic Writing, Simon & Schuster, 1946), Fritz Gesing, Kreativ schreiben, Dumont Verlag, Köln, 2004, S.98

[9] Otto Kruse, Kunst und Technik des Erzählens, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt, 2002, S. 235

[10] Dieter Fuchs, im Münchner Literaturbüro am 3. März 2006

 

Letzte Änderung: März 2006

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