Leixoletti.de
Kurzgeschichten und Interpretationen
Startseite > Kurzgeschichten-Interpretationen > Hernando Tellez: Schaum und sonst nichts

Hernando Tellez: Schaum und sonst nichts

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Eine moralische Geschichte ohne Moral: Der kaum bekannte, kolumbianische Autor Tellez überlässt das Urteil dem Leser..

Inhaltsangabe

Ein Hauptmann der Regierungsarmee kommt in den Friseursalon des Ich-Erzählers, um sich rasieren zu lassen. Der Erzähler, der als Spion für die Rebellen tätig ist, bekommt einen Schrecken, lässt sich aber nichts anmerken.

Während er seinen Feind rasiert, überlegt er, ob er den Mann töten soll. Einerseits sieht er sich als Revolutionär und möchte seine toten Kameraden rächen. Der Hauptmann ist für Erschießungen und Folterungen verantwortlich. Andererseits fühlt er sich seiner Berufsehre als Friseur verpflichtet, nach der er jeden Menschen, egal welcher  politischen Meinung er anhängt, bedienen muss. Wie soll er sich entscheiden: Barbier oder Revolutionär? Und wenn er den Hauptmann töten würde, wie würde man ihn einstufen, als Mörder oder Held?&

Er entscheidet sich für seine Pflicht als Barbier, will sich nicht mit Blut beflecken, nur mit Schaum. Der Barbier rasiert den Mann, ohne einen Blutstropfen zu vergießen.Der Hauptmann steht auf, bedankt sich und bezahlt. Beim Verlassen des Salons wendet er sich noch einmal um und sagt: "Man hat mir gesagt, Sie würden mich töten. Ich bin gekommen, um mich davon zu überzeugen. Aber es ist nicht leicht, einen Menschen zu töten. Ich weiß, wovon ich spreche."

Interpretation

Mörder oder Held? Der kolumbianische Autor schildert eine Situation aus einem lateinamerikanischen Bürgerkrieg: Regierung und Rebellen bekriegen sich, die Regierung lässt gefangene Rebellen foltern oder erschießen. Seinen Ich-Erzähler stellt er vor die Alternative "Bürger oder Revolutionär" bzw. "Barbier oder Mörder".

Indem der Hauptmann sich von dem Barbier rasieren lässt, bringt er den ihn in eine Situation, in der sich sein Feind entscheiden muss. Er begibt sich in Todesgefahr, aber er hat den Friseur letztlich richtig eingeschätzt: Der Barbier schreckt davor zurück, den Wehrlosen zu töten.

Was scheinbar so leicht ist, die dünne Haut über der Halsschlagader zu durchschneiden, erweist sich als zu schwer für den Barbier. Die Barriere ist die natürliche Tötungshemmung, die den Tieren und dem Menschen angeboren ist. Der Hauptmann, der für den Tod so vieler Menschen verantwortlich ist, weiß wie schwer es ist, einen Wehrlosen zu töten. Er bietet dem Feind seine ungeschützte Kehle dar. Hunde machen es ebenso, und diese Unterwerfungsgeste verhindert, dass sie verletzt oder getötet werden. Der Hauptmann möchte sich natürlich nicht unterwerfen, sondern vertraut nur auf die Tötungshemmung des Barbiers.

Auch wenn es die Tötungshemmung ist, die den Barbier von dem entscheidenden Schnitt abhält - der Friseur wägt sorgfältig ab. Hat der Hauptmann den Tod verdient? Nein, kein Mensch verdient es, dass ein anderer seinetwegen zum Mörder wird. Mit einem Mord ist nichts gewonnen, denn es kommen neue Hauptmänner, die wieder getötet werden und so fort, bis die Welt ein Meer von Blut ist. Auch persönliche Bequemlichkeit spricht dagegen: Er müsste fliehen, alles zurücklassen. Und möglicherweise würde man ihn als feigen Mörder bezeichnen. 

Der Autor zwingt dem Leser kein moralisches Urteil über den Barbier auf. Die Beurteilung des Barbiers überlässt Tellez dem Leser.

Hernando Tellez

Tellez ist ein wohl nur wenigen bekannter, kolumbianischer Autor (1908-1966).

Bibliographisches

Letzte Änderung: Januar 2003

http://www.leixoletti.de

E-Mail: webmaster@leixoletti.de

© Stefan Leichsenring. Alle Rechte vorbehalten.