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Martin Walser: Mein Riesen-Problem

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Ein ständig blau anlaufender Riese zeigt, wie sympathisch nutzlose Wesen sein können.

Gegen eine Geschichte, von der schon der Titel sagt, dass sie von einem Riesenproblem handelt, besteht wohl bei manchem ein Anfangsverdacht. Doch hier ist nicht von Pickeln und Liebe die Rede, sondern von Zwetschgendepressionen und einem unbrauchbaren Süßigkeitenliebhaber. Mit solchen Fremdproblemen schlage ich mich gern herum, vor allem, wenn dabei auch noch die Sprache Walsers zu hören ist.

Inhaltsangabe

Die GEschichte beginnt mit einem Angebot: Ich, ja ich, ich verkaufe meinen Riesen.Der Ich-Erzähler bietet dem Leser seinen Riesen zum Verkauf an. Er möchte ihn hauptsächlich los sein, verlangt nicht viel für ihn. Denn er ist zu nichts nütze.

Zwar hat der Erzähler schon alles mögliche versucht, um den Riesen produktiv zu machen. Aber nichts hat geholfen. Der Riese neigt zu Depressionen. Dann läuft er zwetschgenblau an und braucht schnell Süßigkeiten. Er ist schüchtern. Er ist stumm, vielleicht auch dumm.

"Gaben hat er, aber gegen Ausbildung ist er immun. Zieht mit Kreide sieben Notenlinien auf den Boden, legt Zwetschgenkerne als Noten aus und singt dann die Melodien nach, die er so markiert hat... Wenn ich sage: so, das bilden wir jetzt aus, hört er auf, zerstört die Zwetschgenkernweise und legt sich bäuchlings auf den Boden."

"So bin ich Begleiter eines völlig unbrauchbaren Riesen geworden." "Falls bis Null Uhr niemand kommt, muss ich ihn zum Schlachter führen." Der Riese ist so etwas wie das zweite Ich des Erzählers: "Allerdings wohnen wir nun schon zu lange in der Seele..."

Interpretation

Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive erzählt, und das Ich könnte dem Autor recht nahe kommen. Dieser Gedanke drängt sich auf, weil der Erzähler den Leser direkt anspricht, ihn bittet, den Riesen zu kaufen. Außerdem stammt der Riese wie der Erzähler aus dem "Zwetschgenlandstrich". Da Walser seit Jahrzehnten im Bodenseegebiet lebt, ist dies eine weitere Parallele. Auf Handlung verzichtet Walser: Die Geschichte besteht ausschließlich aus dem Verkaufsangebot und den anekdotenhaften Geschichten über den Riesen.

Die Geschichte ist surreal, wie es für Walsers Kurzgeschichten typisch ist. Zugleich hat sie etwas parabelhaftes. Der Riese verkörpert die kreative, musische, schwermütige Seite des Erzählers, die sich nicht für Zwecke einsetzen lässt. Diese Seite ist unpraktisch, erscheint dem Leser aber auch sympathisch.

Walser zeigt, dass Menschen auch sympathisch sein können, wenn sie dumm, nutzlos und manchmal nervig sind. Und dass sich kein Mensch von der nutzlosen, "riesenhaften" Seite des eigenen Ichs trennen kann - sie ist Teil der eigenen Seele.

Martin Walser

Der 1927 geborene Walser wurde bekannt durch Romane wie "Ehen in Philippsburg" und "Halbzeit" sowie die Novelle "Ein fliehendes Pferd". Der heute über 75-jährige schreibt immer noch, mit nicht nachlassendem Elan und begeistert nicht nur Kritiker und Feuilletonisten, sondern auch das ganz normale Lesepublikum. Seine Kurzprosa wirkt oft parabelhaft, wie die von Aichinger oder Hildesheimer.

Bibliographisches

Letzte Änderung: Juni 2005

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