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Gebrüder Grimm: Hans im Glück

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Warum nicht auch mal wieder ein Märchen lesen? Das Grimmsche Märchen ist ein faszinierend vielschichtiges Stück Kurzprosa.

Inhaltsangabe

Hans hat sieben Jahre für seinen Arbeitgeber gearbeitet und will nun heim zu seiner Mutter. Er bekommt einen Klumpen Gold als Lohn und macht sich auf den Weg. Schwer an dem Klumpen tragend, trifft er einen Reiter und tauscht sein Gold gegen das Pferd ein. Das Pferd aber wirft Hans ab, und so ist er froh, es gegen eine Kuh zu tauschen, die ein vorbeikommender Bauer vor sich her treibt. Als er versucht, das Tier zu melken, gibt es dem Ungeübten einen Tritt.

Da kommt ein Metzger vorbei, und Hans tauscht die unergiebige Kuh gegen dessen Schwein. Bisher ging alles nach Wunsch, so denkt sich Hans: Jeder Ärger verschwand, sobald er auftrat. Ein Weilchen begleitet ihn nun ein junger Bursch mit einer Gans. Der erzählt ihm, das Schwein könnte gestohlen sein, nach dem Dieb würde schon gesucht. Auf Hans' Bitten tauscht der Bursche seine Gans gegen das Schwein.

Als nächstes begegnet Hans einem Scherenschleifer, der ihm rät, auch ein Schleifer zu werden, damit könnte man viel Geld verdienen. So tauscht Hans seine Gans gegen einen Wetzstein und einen Stein zum Klopfen. Bald wird er durstig und legt seine Steine auf den Rand eines Brunnens. Als er sich hinabbeugt, um zu trinken, stößt er versehentlich an die Steine, die daraufhin in den Brunnen fallen. Da dankt er Gott mit Tränen in den Augen: Die schweren Steine waren das letzte, was ihm noch hinderlich gewesen ist. Frei von aller Last und glücklich kommt er heim zu seiner Mutter.

Interpretation

"Hans im Glück" ist ein faszinierend vielschichtiges Stück Kurzprosa, das bei näherer Betrachtung viele Facetten zeigt. Die Handlung des Märchens kreist um die Hauptperson, dessen Charakter dabei immer deutlicher wird.

Auf den ersten Blick ist Hans - finanziell gesehen - ein Vollidiot. Er verspielt seinen hart erarbeiteten, wertvollen Lohn. Am Schluss bleibt ihm nichts von sieben Jahren harter Arbeit. Er tauscht ein Ding gegen das andere, und dabei bekommt er immer weniger Gegenwert. Man muss an die alte Börsenweisheit denken: Hin und her - Taschen leer.

Hans ist ein unerschütterlicher Optimist: Immer wieder setzt er seine Hoffnung auf andere Dinge, deren Vorzüge seine Geschäftspartner ihm rosig ausmalen. Er projiziert seine Hoffnung auf ein besseres Leben immer wieder auf andere Objekte. Jede seiner Erwerbungen hat jedoch neben ihren Vorzügen auch einen Pferdefuß, ist mit Gefahren oder Beschwernis gekoppelt. Deshalb ist er jedesmal froh, das Ding wieder los zu sein.

Hans erkennt nicht, dass seine Tauschpartner allesamt Gauner sind, die nur auf ihren Vorteil aus sind, und ihn, den Naiven, übertölpeln. Und statt dass er sich wenigstens im Nachhinein über seinen Handel ärgert, freut er sich jedesmal. Getreu der Maxime des Positiven Denkens sieht er in allem, was geschieht, nur das Gute. Selbst wenn er dem Scherenschleifer gegenüber die Kette seiner Tauschgeschäfte rekapituliert, wird ihm der Wertverlust nicht klar. Positiv in die Vergangenheit und in die Zukunft sehend, lernt Hans nicht aus seinen Erfahrungen, und am Schluss bleibt ihm nichts von seinem Vermögen.

Aller objektiven Missgeschicke zum Trotz ist Hans aber im Märchen immer glücklich. Durch sein positives Denken verwandelt sich objektiv Schlimmes in subjektives Wohlbefinden. Jeden Fehler deutet Hans in einen Erfolg um. Er erscheint so als der Prototyp des Lebemannes, der nie schlechte Laune hat oder mit seinem Geschick hadert. Er lebt in den Tag hinein, läuft wechselnden Verlockungen nach, probiert alles aus, was ihm begegnet. Ökonomisch gesehen, orientiert er sich nicht am Tauschwert der Dinge, sondern an ihrem Gebrauchswert, daran, was ihm ein Ding nützen könnte. Psychologisch, aus der Sichtweise von Erich Fromm gesehen, lebt Hans in der Existenzweise des Seins, nicht des Habens.

Am Schluss erkennt Hans, dass all sein Besitz ihn beschwert hat, dass jedes Ding seinem Fortkommen, seiner Freiheit im Weg war. Geld und Besitz machen nicht glücklich, sondern die Art, wie man die Welt sieht. Die Geschichte seines Heimkommen, seiner persönlichen Odyssee ist damit auch die Geschichte zunehmender Erkenntnis. Am Schluss, wo Hans gar nichts mehr besitzt als sich selbst, ist er am glücklichsten. Mit dieser asketischen Einsicht schließt die Geschichte.

Gebrüder Grimm

Die "Gebrüder" bestanden aus Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859). Als Literaturwissenschaftler sind sie die Begründer der deutschen Philologie. Außer ihrer Beschäftigung mit Grammatik und der Entwicklung germanischer Sprachen sammelten die Brüder Sagen und Märchen. Angeregt dazu wurden sie Brüder durch die Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" von Achim von Arnim und Clemens Brentano. "Hans im Glück" ist eines der bekanntesten M&auuml;rchen daraus. Ein Wiederlesen des facettenreichen Kurzprosastücks lohnt sich.

Bibliographisches

Letzte Änderung: Dezember 2002

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