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D. H. Lawrence: Der Schaukelpferdsieger

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Glück und Geld: Ein übersinnlich begabter Junge erforscht den Zusammenhang zwischen beidem und kommt dabei um.

Inhaltsangabe

Die Eltern des kleinen Paul leben ständig über ihre Verhältnisse. Kaufen teure Dinge, machen Schulden. Paul hört schon Stimmen im Haus tuscheln: Sie verkünden, was sich die Eltern nicht auszusprechen wagen: Mehr Geld muss herbei! Mehr Geld muss herbei!

Eines Tages unterhält sich Paul mit seiner Mutter über das stets mangelnde Geld, und sie sagt ihm, das liege daran, dass Pauls Vater kein Glück habe. Na, sagt der Junge, er jedenfalls habe Glück. Gott hätte es ihm gesagt. Sie beachtet seine Worte nicht, und so beschließt er, ihre Aufmerksamkeit zu erzwingen. Paul sitzt nun immer öfter auf seinem Schaukelpferd und reitet ungestüm, mit einem seltsamen Glanz in den Augen.

Pauls Onkel Oscar findet zufällig heraus, dass der Junge viel über Pferderennen weiß. Zusammen mit Bassett, dem Gärtner, nimmt er an Pferdewetten teil und hat schon mehrere hundert Pfund gewonnen. Oscar unterstützt Paul, und der hat bald 10.000 Pfund gewonnen. Er möchte das Geld seiner Mutter übergeben, damit die Stimmen im Haus verschwinden. Er glaubt, wenn er Glück hat, könnte er sie zum Schweigen bringen. Damit seine Mutter nicht erfährt, von wem das Geld kommt, beauftragt Oscar einen Rechtsanwalt ihr das Geld zukommen zu lassen.

Doch die Mutter bezahlt nicht ihre Schulden, sondern tätigt neue Luxus-Käufe. Und die Stimmen werden immer lauter: Mehr Geld muss herbei! Mehr Geld muss herbei!

Paul steigert sich nun noch mehr in die Sache hinein: Er will unbedingt beim nächsten Rennen gewinnen, wird zum Nervenbündel. Paul wird krank, bekommt ein Gehirnfieber. Als er tatsächlich gewinnt, gehören Paul 80.000 Pfund. "Glaubst du jetzt, dass ich Glück habe", fragt er seine Mutter. Dann verrät er sein Geheimnis: "Wenn ich mein Pferd reite und hinkomme, dann bin ich sicher, oh, ganz sicher. Ich habe Glück, Mutter." In derselben Nacht stirbt Paul.

Interpretation

Lawrences Geschichte erzählt von der Geldgier und ihren Folgen. Dass er sich dabei der Form des Märchens bedient, wird schon im ersten Satz deutlich. Auch das Thema Glücksspiel kommt hierin schon vor:

"Es war einmal eine Frau, die schön war und lauter gute Karten in der Hand hatte; doch sie hatte kein Glück."

Die Story erinnert entfernt an das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Die Frau (Mutter) kann nie genug bekommen; das führt zur Katastrophe, zum Tod des Jungen. Die Wunscherfüllung ist bei Lawrence nicht Sache des Butts, sondern eines Kindes mit übersinnlichen Fähigkeiten. Hier zeigen sich auch Elemente des phantastischen Romans. Paul bekommt bei seinen "Ritten zum Glück" etwas Unheimliches, das sich vor allem in seinen Blicken äußert, den Blicken aus seinen eng stehenden, blauen Augen, die immer wieder erwähnt werden.

Wie ein klassisches Märchen ist die Geschichte aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers geschrieben: "Es war einmal eine Frau, die schön war ..." Hier spricht eindeutig ein auktorialer Erzähler über seine Protagonistin. Und wertet dabei sogar ihre äußere Erscheinung.

Am Anfang lenkt der Erzähler die Aufmerksamkeit auf die Mutter. Sie glaubt, ihre Kinder würden sie nicht lieben. Deshalb hat sie Selbstzweifel:

"Und sofort glaubte sie, da sei ein Fehler in ihr, den sie verstecken müsse. Doch was es eigentlich war, das sie verstehen müsse, das konnte sie nie herausfinden."

Hier wird die Protagonistin als selbstunsicher charakterisiert. Denn sie sucht den Fehler sofort bei sich. Die Erwähnung eines solchen geheimnisvollen Charakterfehlers erzeugt außerdem Neugier und damit Spannung. Der verborgene Fehler ist wohl ihre Gier, die möglicherweise aus ihrer Selbstunsicherheit entstanden ist.

Erst allmählich wendet sich der Erzähler Paul zu, dem eigentlichen Protagonisten. Neben der Habgier (der Mutter) ist auch das Verhältnis von Geld und Glück ein Hauptthema der Geschichte. Der Junge wächst in einer Familie auf, in der die Spielsucht verbreitet ist. Deswegen denkt er, Glück und Geld seien ein und dasselbe. Die Mutter vermittelt ihm in dem Gespräch am Anfang, Glück sei das Wichtigste im Leben. Sie sagt ihm auch, sie sei unglücklich. Deswegen versucht der Junge verzweifelt, das Glück zu finden. Und es gelingt ihm. Er kommt mit seinem Pferd bis zu seinem imaginierten Ziel, dem Glück. Deswegen bezeichnet der Geschichtentitel Paul als Sieger.

Aus Autorensicht

Die Story ist nicht nur spannend. Sie ist auch heute noch interessant, ihres überzeitlichen Themas (Glück und Geld) wegen. Als Märchen moralisiert sie jedoch auch. Die Story gibt ein Statement ab, statt Fragen zu stellen. Die Moral ist: Geld allein macht nicht glücklich. Und Gier kann nicht durch Güter befriedigt werden. Das Glück liegt eher in der Zufriedenheit mit dem, was man hat. Diese Moral wirkt heute ziemlich platt, ihre Vermittlung durch die Geschichte macht einen oberlehrerhaften Eindruck.

David Herbert Lawrence (1885-1930)

David Herbert Lawrence wurde im englischen Nottinghamshire geboren, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Er arbeitete zunächst als Lehrer. 1912 brannte er nach Deutschland durch - mit Frieda Weekley, die für ihn Mann und Kinder verließ. Vor dem ersten Weltkrieg kehrten beide nach England zurück und heirateten. 1919 ging das Ehepaar auf ausgedehnte Reisen in Europa und dann nach Ceylon, Australien und Mexiko. Gesundheitlich ging es Lawrence jedoch immer schlechter, und so kehrte er 1925 mit Frieda nach Europa zurück. Seine letzten Jahre verbrachte Lawrence vor allem in Italien. Er starb in Vence in Südfrankreich. Lawrence schrieb Gedichte, Romane, Kurzgheschichten, Dramen und Essays. Sein bekanntestes Werk ist der Roman "Lady Chatterley".

Bibliographisches

Letzte Änderung: November 2004

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