Leixoletti.de
Kurzgeschichten und Interpretationen
Startseite > Kurzgeschichten-Interpretationen > John Steinbeck: Der Anführer

John Steinbeck: Der Anführer

- Inhaltsangabe und Interpretation -

Eine symbolreiche Geschichte über den Unterschied der Generationen und verwirklichte Träme.

Inhaltsangabe

Auf ihrer Farm in Kalifornien lebt die Familie Tiflin: Carl Tiflin, seine Frau, ihr Sohn Jody und der Knecht namens Billy Buck.

Jody entdeckt in der Ferne seinen Vater, der mit einem Brief in der Hand nach Hause zurückkehrt. In dem Brief kündigt der Großvater von Jody seinen Besuch an.

Carl Tiflin  hasst die Indianer- und Pferdegeschichten, die sein Schwiegervater immer erzählt. Tausendmal hätte er sich "den Mist" schon anhören müssen. Seine Frau weist ihn zurecht: Der Zug durch die Steppe nach Westen, den ihr Vater vor Jahrzehnten angeführt hatte, sei das Erlebnis seines Lebens gewesen. Carl solle wenigstens so tun, als ob er zuhören würde.

Jody geht dem alten Mann entgegen. Er freut sich auf die Geschichten. Jody will den würdigen alten Herrn im schwarzen Rock zur Mäusejagd einladen. Der "Anführer" lacht. So weit sei die heutige Generation heruntergekommen, dass sie Mäuse essen würde? Jody erklärt es ihm: Es sei nur ein Spiel. Beim gemeinsamen Abendessen auf der Farm kommt es so, wie Carl Tiflin es vorausgesehen hatte: Der alte Mann erzählt wieder von den Abenteuern des Trecks nach Westen, in einem Leierton, der von zahllosen Wiederholungen herrührt. Carl Tiflin übt sich in Geduld, erträgt die Erzählungen.

Aber als der Großvater beim Frühstück auf sich warten lässt, beklagt er sich. Kein Mensch hätte mehr Interesse an diesen Präriegeschichten. Da kommt der Großvater; er hat die Sätze von Carl gehört. Carl ist es peinlich, er entschuldigt sich. Carl geh hinaus an die Arbeit, und Jody macht sich daran, Mäuse zu jagen. Aber es macht ihm keinen Spaß, weil er an seinen Großvater denken muss. Er geht zu dem alten traurigen Mann.

Der Großvater spricht zu ihm: "Ich glaube, der Zug durch die Steppe war nicht der Mühe wert...." Wenn er die alten Geschichten erzähle, dann deswegen, weil die Zuhörenden etwas dabei empfinden sollten. "Es war der Bund vieler Menschen, geeint zu einem großen lebenden Wesen, das vorwärts drang... Das sollte ich ihnen sagen und keine Geschichten erzählen." Er hasst den Ozean, weil er diese Bewegung zum Stoppen brachte. Nun gebe es nichts mehr zu entdecken. Der wilde schöne Westen sei für die Leute tot, sie hätten die Sehnsucht verloren, weiterzuziehen. Sein Schwiegersohn habe recht: Der Fall sei erledigt. Jody ist tief bekümmert und bereitet dem alten Mann eine Limonade, um den Großvater zu trösten.

Interpretation

Die Story ist eine Initiationsgeschichte, was Jody anbetrifft. Und eine traurige Geschichte über das Ende des Pioniergeistes in den USA.

Drei Generationen prallen aufeinander: Die alte Generation hatte ihre Ideale, ihr Ziel, die Weite des Westens lockte sie. Die Generation von Carl ist etabliert, es rührt sich nichts mehr, die Menschen leben nur noch vor sich hin. Jody ist jung, er träumt von Abenteuern. Er will einmal ebenso Wunderbares leisten wie sein Großvater. Aber der macht ihm keinen Mut: Es gibt seiner Ansicht "keinen Platz mehr, um weiterzugehen." Dass Jody so niedergeschlagen ist, ist also kein Wunder.

Die Geschichte wird aus der Sicht von Jody erzählt. Anfangs ist er voller Tatendrang und Abenteuerlust, er will etwas erleben, die Mäuse ausrotten. Für ihn ist das ein Abenteuer. Für den Großvater, der den Kampf mit den Indianern miterlebt hat, ist das bezeichnend für die junge Generation.

Steinbecks Story hat auf den ersten Blick einige Längen, wozu auch die Naturschilderungen beitragen. Aber diese Längen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Tiefen. Die Naturschilderungen sind symbolisch gemeint: Am Anfang jagende Hunde, Wind treibt die Wolken über den Himmel. Nach unten in der Senke, wo die Tiflins wohnen, dringt kein Lüftchen. Dort brummen dicke Fliegen, fette Mäuse haben den von Fäulnis bedrohten Heuhaufen erobert. Ein Schwein hat sich totgefressen. Mit dem Großvater sind andere Tiere verbunden: der Falke z.B., den er gegen Ende reglos auf einem Ast sitzen sieht. Das ganze trägt zur Initiation von Jody bei.

John Steinbeck

Steinbeck wurde 1902 in Salinas, Kalifornien, geboren, wo auch die meisten seiner Romane und Kurzgeschichten spielen. Er verdiente sein Geld zeitweise als Gelegenheitsarbeiter.

Er schildert häfig sozialkritisch das Leben armer, arbeitsloser, vom Schicksal getriebener Menschen (z.B. Die Früchte des Zorns, Von Mäusen und Menschen, Jenseits von Eden), schrieb aber auch den Schelmenroman Tortilla Flat. Steinbeck starb 1962.

Bibliographisches

Letzte Änderung: Januar 2003

http://www.leixoletti.de

E-Mail: webmaster@leixoletti.de

© Stefan Leichsenring. Alle Rechte vorbehalten.