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Leicht und schwer


Eine Kriegsgeschichte, aus dem Zweiten Weltkrieg
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Wir waren wieder einmal auf der Suche nach Partisanen. In einem heruntergekommenen Vorort Krakaus mussten wir kleine schmutzige Holzhäuser durchsuchen. Am Ende der Straße, wo man schon Äcker und Wiesen sah, stand ein etwas abgelegenes Häuschen, das mir zugeteilt wurde.

Es brannte kein Licht drinnen, obwohl die Dämmerung schon weit fortgeschritten war, und so konnte ich durch die Fensterscheiben nichts erkennen außer der Konturen von ein paar Möbeln. Ich ging um das Haus herum und fand eine angelehnte Holztüre, die ich vorsichtig aufschob. Sie gab ein entsetzlich lautes Knarren von sich, aber bevor ich mich über das verräterische Geräusch ärgern konnte - sah ich mich direkt einer jungen Frau gegenüber.

Sie sah mir geradewegs ins Gesicht, und wir waren wohl beide gleichermaßen erschrocken über die unerwartete Begegnung, denn eine Weile lang geschah gar nichts. Erst nach einer Ewigkeit bemerkte ich, dass sie ein Kleinkind auf dem Arm hatte, das sie wohl gerade in den Schlaf schaukeln wollte, als ich dazwischenkam. Sie war hübsch, ich glaube, sie hatte langes, dunkles Haar. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich die Maschinenpistole auf sie gerichtet hatte. Im selben Augenblick sah ich, dass auch sie eine Pistole in der Hand hatte. So standen wir uns gegenüber, keiner war einer Handlung fähig.

Minutenlang starrten wir uns an. Dann ließ ich die Waffe sinken. Ich würde nicht als erster auf sie schießen können, so abgebrüht war ich denn doch nicht. Langsam bewegte ich mich rückwärts hinaus und zog die Tür hinter mir zu. Eine Weile lehnte ich an der Hauswand und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Wenn nicht Krieg gewesen wäre - sie hätte meine Frau sein können, und das Kind mein eigener Sohn. Sie war etwa so alt wie ich. So jung, und schon Mutter, dachte ich, und das in diesen Zeiten. Unmöglich, auf so ein Mädchen zu schießen.

Was sollte ich tun? Ich hätte dem Leutnant "Haus gesichert und leer" melden können, aber das war gefährlich. Das Mädchen hatte eine Waffe. Wahrscheinlich hatte sie Verbindung zu Partisanen, vielleicht hockte ein Dutzend von ihnen mit Kalaschnikows unter dem Dach. Wenn morgen der ganze Zug durch die Straße marschieren würde, dann könnten zehn oder zwanzig Kameraden von mir meinen Leichtsinn mit dem Leben büßen.

Ich tastete nach meinem Gurt. Den Sicherheitsstift herausziehen. Das war leicht. Bis drei zählen - auch leicht. Und dann musste das Ding weg, ich hatte keine Wahl mehr. Es flog fast von selbst durch die Fensterscheibe. Es war nicht schwer.

(Februar 1998 - März 1998)

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