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Hans-Joachim Klevert


Eine Kurzgeschichte über einen Ordnungsfanatiker, irgendwo zwischen humorig und ernst

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Ich möchte diesen Menschen vergessen. Seit dreißig Jahren möchte ich Hans-Joachim Klevert vergessen, überwinden, loswerden. Aber ich kann nicht. Hans-Joachim Klevert hat sich in meinem Hirn festgebrannt, und schlimmer noch: Er regiert meine Psyche. Ich bin in seiner Hand.

Ein Beispiel nur. Letztes Wochenende räumt meine Frau die Küche auf. Sie stellt die Reibe dekorativ an eine Stelle neben dem Herd, legt den Kopf schief, betrachtet die Reibe, erwägt ihre Wirkung auf die Gäste, die an diesem Abend kommen. Sie kratzt sich und schüttelt den Kopf. Sie lässt die Reibe im Küchenschrank verschwinden und zieht stattdessen den Gewürzmörser heraus. Sie untersucht, wie sie diesen geschickt platzieren könnte, probiert unterschiedliche Stellen aus, ist aber mit der Wirkung nicht zufrieden. Nun zieht sie den Nussknacker hervor. Als sie nach einer Position für diesen sucht, hält es mich nicht länger am Küchentisch. Ich springe auf, reiße ihr den elenden Nussknacker aus den Händen und schmeiße ihn zurück in die Schublade.

Sie sehen, wie angegriffen meine Nerven in solchen Situationen sind. Normalerweise bin ich ein ruhiger Mensch; nur ganz selten einmal reißt mir der Geduldsfaden. Aber manchmal kann ich mich einfach nicht zurückhalten, und ich glaube, dass das mit Hans-Joachim Klevert zu tun hat. Vielleicht hilft es mir, wenn ich Ihnen von ihm erzähle.

Vor dreißig Jahren war ich in einem Architekturbüro beschäftigt. Es war meine erste Anstellung nach der Universität. Ich saß mit einem schon etwas älteren, ruhigen Architekt in einem kleinen Büro und fühlte mich wohl. Die Firma expandierte, und so wurden neue Leute gebraucht. Ein Bewerber nach dem anderen stellte sich vor. Eines Tages kam dann Hans-Joachim Klevert. Er bekam den Platz neben mir.

Ich kann nicht sagen, dass er mir vom ersten Tag an den Nerv tötete. Eigentlich weiß ich nicht genau, wann das anfing. Zu Beginn lief alles ganz normal ab. Am Vormittag des ersten Arbeitstages rief ihn der Chef zu sich, und Klevert kam mit einem dicken Ordner voller Akten zurück. Klevert legte den Ordner in die rechte obere Ecke des Schreibtisches und begann seinen Platz aufzuräumen. Die Rechenmaschine schob er an den linken Rand des Tisches. Dann besorgte er sich von der Sekretärin drei Bleistifte, einen Locher, eine Rolle Tesafilm, einen Spitzer, ein Paket Büroklammern, einen Klammerapparat und zwei Schreibblöcke, einer kariert, der andere liniert. Mein Kollege und ich sahen uns an. Wir waren immer mit einem Bleistift ausgekommen.

Als wir in die Mittagspause gingen, waren die fabrikneuen Bleistifte frisch gespitzt und lagen parallel, die Spitzen nach oben in einer Reihe neben der Rechenmaschine. Der goldfarbene Aufdruck lag obenauf, so dass Klevert auf einen Blick erkennen konnte, welcher Stift welche Härte besaß, wie er mir erklärte. Der Locher, der Klammerapparat, der Spitzer, die Büroklammern und der Tesafilm waren am rechten Rand von Kleverts Schreibtisch aufgebaut, während die beiden Schreibblöcke zwischen diesen und dem Ordner lagen.

Den Nachmittag verbrachte Klevert damit, die Gegenstände in seinen Schreibtischschubladen zu ordnen, die Schubladen mit säuberlich beschrifteten Etiketten zu versehen und danach die benutzten Bleistifte erneut zu spitzen. Um 17 Uhr 30 verabschiedeten wir uns von Klevert und wünschten ihm einen schönen Feierabend. Als wir gingen, lag der Ordner immer noch unberührt in der rechten oberen Ecke seines Schreibtisches.

Am folgenden Tag machte sich Klevert daran, den Inhalt der Schubladen genauer in Augenschein zu nehmen, die Funktionsfähigkeit des Klammerapparats und des Tesarollers zu überprüfen und schließlich, nach einem Arbeitstag von elf Stunden, die Bleistifte für den nächsten Tag säuberlich zu spitzen. Am dritten Tag nahm sich Klevert den Ordner vor. Zuerst sichtete er den Inhalt. Dann nahm er sämtliche Blätter heraus und verteilte sie auf etwa zehn Stapel über seinen Schreibtisch. Am Nachmittag begann er, die Blätter, durch beschriftete, verschiedenfarbige Einlagekartons getrennt, wieder in den Ordner einzulegen - eine Arbeit, die am Mittag des folgenden Tages beinahe abgeschlossen war.

Natürlich waren wir beide, mein Kollege und ich, neugierig, wie der Chef auf Klevert reagieren würde. Wir kannten unseren Chef: Er würde auf die Erledigung der Arbeit dringen, er würde auf Kliententermine verweisen, Klevert unter Druck setzen. Er würde bald merken, wie der Hase lief, immer ärgerlicher werden und Klevert noch in der Probezeit wieder hinauswerfen, ja wahrscheinlich schon nach einem Monat.

Monate vergingen, aber nichts Außergewöhnliches geschah. Klevert wurde einmal wöchentlich zum Chef befohlen, wie wir auch. Wir machten uns manchmal den Spaß, seine Bleistifte in Unordnung zu bringen, oder den Tesaroller auf dem Tisch zu verschieben. Nach ungefähr einer halben Stunde kam Klevert jedesmal seelenruhig zurück und ordnete zunächst einmal seinen Schreibtisch. Nichts ließ darauf schließen, dass es zu einer Auseinandersetzung mit dem Chef gekommen wäre. Als der Chef dann im zweiten oder dritten Monat nach Kleverts Einstellung einmal beiläufig seinen lobenswerten Einsatz erwähnte, stand es schließlich fest für uns: Klevert würde bleiben.

Der Chef hatte einfach zu viel zu tun, um abschätzen zu können, wer von seinen Angestellten wie viel arbeitete. Die einzige Möglichkeit bestand darin, festzustellen, wie lange ein Mitarbeiter im Büro war. Und da ließ Klevert nichts auf sich kommen. Er saß Tag für Tag zehn bis zwölf Stunden im Büro, und achtete peinlich darauf, immer als letzter zu gehen. Wenn einer von uns Überstunden machen musste, dann blieb er auch einmal vierzehn Stunden. War dagegen der Chef einmal für zwei Tage außer Haus, so kam er oft erst gegen elf Uhr, erledigte umfangreiche Einkäufe in der Mittagszeit, vertrieb sich den Nachmittag mit privaten Telefongesprächen und ging zeitig.

Ich habe Klevert im Verdacht, dass er regelmäßig spätabends, wenn alle gegangen waren, den Terminkalender des Chefs durchsah, um immer über die optimale Anwesenheitszeit informiert zu sein. War der Chef morgens beim Frisör, dann kam auch Klevert später. Kam der Chef außer der Reihe einmal schon um sieben ins Büro, war Klevert schon vor ihm da.

Vielleicht verfügte Klevert auch über einen sechsten Sinn, was die Absichten des Chefs betraf. Einmal saßen wir zum Beispiel bis spät in die Nacht zu zweit im Büro, Klevert und ich. Alle anderen waren längst gegangen, denn der Chef war auf Reisen und nicht vor Ende der Woche zurück zu erwarten. Aber ich musste eine Arbeit fertigmachen, und so brummte ich wohl oder übel ein paar Überstunden ab. Während ich arbeitete, durchstreifte Klevert die Büros oder spitzte seine Bleistifte.

Um zehn Uhr abends klingelte das Telefon. Klevert war sehr schnell am Apparat. Es war der Chef. Klevert freute sich offensichtlich wie ein Schneekönig, dass er seine Anwesenheit und seinen überdurchschnittlichen Einsatz wieder einmal beweisen konnte, indem er sich zu so später Stunde noch am Telefon meldete. Eigentlich wollte der Chef aber mit mir sprechen. Er wusste, dass am nächsten Tag verschiedene Unterlagen fertig sein mussten und hielt mir eine Gardinenpredigt: dass die Zeichnungen noch nicht in Auftrag gegeben waren, dass die statischen Berechnungen nicht fertig waren und so weiter. Ich gab alles zu, was der Chef mir vorwarf. Ich kannte ihn, es hatte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, wenn er in Fahrt war. Ja, ich hatte Fehler gemacht. Natürlich: Nur wer nichts tut, macht keine Fehler. So wie Hans-Joachim Klevert.

Lange war ich dann nicht mehr bei meinem ersten Chef. Schon mehrere Male habe ich seit damals den Arbeitgeber gewechselt, und Klevert ist schon längst aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, und es ist mir auch egal.

Ich sehe ihn oft in meinen jetzigen Kollegen, in einem Leiter einer anderen Abteilung, manchmal in meiner Frau und in meinem Neffen auch. Nicht immer ist es der komplette Klevert, mit seinem Ordnungswahn, seiner Langsamkeit. Aber in vielen Leuten, die ich kenne, ist ein Teil von ihm. Hans-Joachim Klevert. Er ist überall.

Ich möchte ihn zu vergessen, doch ich fürchte, ich werde mit ihm leben müssen. Alles habe ich versucht, Psychoanalyse, Meditation, Töpfern, Kurzgeschichten schreiben. Aber noch heute sehe ich ihn an seinem Schreibtisch sitzen und Bleistifte spitzen.

(April 2001 - Januar 2003)

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