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Der Ausflug


Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein...
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Ich baute das Hinterrad aus und nahm die Kette aus dem Kranz. An der Achse war nichts zu sehen, gar nichts. Ich legte er das Metallteil weg.

Die Idee war mir ein paar Tage davor gekommen. Ich hatte an der Ampel auf Grün gewartet, und als die Ampel endlich schaltete, da kam ich nicht vom Fleck. Das Rad blockierte nicht ganz, aber das Treten ging sehr schwer. Zuerst dachte ich, die Kette wird herausgesprungen sein, aber das war es nicht. Erst nach einigem Suchen entdeckte ich, dass die hintere Achse seines Fahrrads glatt durchgebrochen war, so dass die Kette zwischen Ritzel und Gabel eingeklemmt war. Gut, dass das an der Ampel passiert war, es hätte ja auch auf einer schnellen Fahrt bergab geschehen können.

Das Rad war nicht mehr neu, und Else, meine Frau, hatte das gleiche bekommen. Seine Frau – wenn ich sie noch so nennen konnte. Sie betrog mich seit etwa einem halben Jahr mit einem jungen Kerl, der erst vor einem dreiviertel Jahr ins Dorf gekommen und die Metzgerei übernommen hatte. Ein Metzger.

Das ganze Dorf wusste Bescheid. Aber ich konnte sie nicht zur Rede stellen, denn was hätte das für Konsequenzen gehabt. Das Haus gehörte schließlich ihr. Ein anderer hätte sie vielleicht umgebracht, aber dergleichen war nicht mein Fall. Sie sollte fühlen, wie mir zumute war. Ich bin kein Sadist. Ich wollte mich in vernünftigem Rahmen an ihr rächen.

Die Achse sah aus, wie sie aussehen sollte, glatt und fast blank. Aber irgendwann würde sie auch durchbrechen, nächstes Jahr oder übernächstes. Vielleicht war es nötig, ein wenig nachzuhelfen.

Bei Gläsern gab es Sollbruchstellen: Bei irgendwelchen Spannungen im Glas sprang es dann zwar etwas früher, aber an einer gewünschten Stelle. Also eine Sollbruchstelle, ein kleiner Ritz in die Oberfläche des Metalls, in der Nähe der Stelle, an der das Ding in der Gabel hing - das würde genügen. Ich setzte die Feile an und säbelte ein Stückchen damit in den Metallstab hinein.

Aber als ich am nächsten Morgen aufgestanden war und Else den Tee ans Bett brachte, zeigte sie mir das Fieberthermometer. Sie blieb im Bett.

Unser Sohn Harald kam ins Schlafzimmer.

"Tut mir leid, Harald, aber deine Mutter ist krank," sagte ich.

"Aber Liebling, fahrt doch ohne mich, ist ja nur eine kleine Erkältung. Harald hat sich schon so drauf gefreut," widersprach Else.

"Also gut."

"Papa, mein Rad ist schon so alt und außerdem ist es viel zu klein. Krieg ich bald ein neues?"

"Zum Geburtstag vielleicht."

"Kann ich dann mit Mamas Rad fahren? Nur heute!"

"Nein, Harald, das geht nicht, bei uns hat jeder sein eigenes Rad, und das von Mama ist ein Damenrad, du willst doch nicht mit einem Damenrad..."

"Außerdem kann ich mit Mamas viel schneller fahren."

"Lass ihn ruhig, Berni, so neu ist es ja nicht mehr. Kaputtmachen kann er es nicht. Also, nun fahrt schon los, ihr zwei, und viel Spaß."

Harald war leichter. Es würde schon nichts passieren, dachte ich.

Aber an diesem Tag kamen wir nicht weit. Schon nach einer Stunde passierte es. Harald ließ sich mit blutigem Knie auf dem Sattel heimschieben. Ich hatte Gewissensbisse.

Als wir in die Straße einbogen, wo wir wohnen, sah ich, dass hinter meinem VW ein Firmenkombi stand: Fleisch- und Wurstwaren Fischer.

(März 1997 - März 2003)

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